05 Dez Auf den Spuren unseres Essens.
Ich esse, also verantworte ich
Wie kann eine faire Ernährung in unserer Stadt aussehen, und wie können wir sie ermöglichen? Diese Frage bewegt und motiviert mich schon seit einigen Jahren. Eine gute Antwort ist natürlich die Stärkung ökologischer und regionaler Lebensmittelkreisläufe. Aber wer von uns ernährt sich ausschließlich regional? Ich genieße es schon, mir auch mal eine Prise Pfeffer auf die frischen Sommertomaten zu streuen, im Sommer ein Vanilleeis zu lecken oder mir einen frischen Kaffee aufzubrühen. Mmmmmh …
Aber wie kommen diese Leckereien eigentlich zu uns, wie und von wem werden sie angebaut und verarbeitet? Um das zu verstehen, bin ich im regelmäßigen Kontakt mit lokalen Landwirtschaftsbetrieben und Direkthändlern wie Jens Klein von Café Chavalo oder Christian Tihl von OLI.VEN.OEL und tausche mich über Essen und Verantwortung aus. Für mich ist klar: ich esse, also verantworte ich!
Und wie kann man sich ein Bild machen über das, was man da mitverantwortet? Einerseits gibt es natürlich schon einige spannende Reportagen über Bio-Lebensmittel aus dem Ausland. Aber da ich ja selbst nicht nur konsumiere, sondern als Produzent auch noch die Verantwortung dafür trage, wen ich vor Ort als Partner wähle und warum, wollte ich mir gern selbst ein Bild davon machen, wie exotische Gewürze und Lebensmittel erzeugt und gehandelt werden: live, bunt und analog.
Auf nach … Sri Lanka!
Sri Lanka (Ceylon) ist durch seinen Pfeffer, Zimt oder Kardamom als Gewürzinsel berühmt geworden, außerdem seit dem 19. Jahrhundert auch als bedeutsamer Tee-Exporteur. Seit über 25 Jahren werden auf der Insel auch biologische Gewürze und Lebensmittel produziert. Bekannte Biomarken wie MorgenLand, Sonnentor oder Weiling beziehen ihre Rohstoffe von der leuchtenden Insel im Indischen Ozean. Hier wollte ich hin und meinen Blick dafür schärfen, was auf meinen Teller kommt.
Ein Wimmelbild von romantisch bis großindustriell: einige Eindrücke
Ich nehme mir die Zeit, viele Tage lang durch die sattgrüne und fruchtbare Landschaft der Insel zu streifen. Dabei komme ich in den Kontakt mit Bauernfamilien, die Pfeffer, Kaffee, Kakao, Reis oder Bananen anbauten und bekam Einblicke in die kleinbäuerlichen Strukturen. Sie zeigen mir, wie sie ihre Felder bewirtschaften und erzählen, wem sie ihre Ernten verkaufen und für wieviel (in den letzten Jahren immer weniger). Die Familien haben oft eigenes Land und einige Besitztümer. Aber ich treffe auch Erntehelferinnen, die mit geringem Einkommen und ohne eigenes Land auskommen.
Die Produktion von Tee und Kokos ist auf Sri Lanka nicht zu übersehen. Die Küstenregionen sind bedeckt mit endlosen Kokosplantagen und deren Verarbeitungsbetrieben. Da sich die höheren Lagen ausgezeichnet zur Teeproduktion eignen, blickt man im Hochland auf ganze Teelandschaften. Beispielsweise baut Lipton in der Region um Haputale auf über 1.000 Hektar Tee auf unzähligen Terrassen an. Hier erfahre ich, dass die ca. 2.000 Teepflückerinnen zwischen vier und fünf Euro am Tag verdienen. Die meisten von ihnen besitzen kein eigenes Land.
Um einen Einblick in den bio-zertifizierten Anbau von Lebensmitteln zu bekommen, besuche ich mit einem Freund aus Leipzig Lawrence Goldberg (srilankacoffee.com), einen amerikanischen Bio-Pionier, der seit vielen Jahren auf Sri Lanka lebt und mit regionalen Zutaten öko-faire Kaffee- und Schokoladenspezialitäten herstellt. Er lädt uns zu sich ein, zeigt uns seine Felder, auf denen ich die süßesten Erdbeeren meines Lebens esse, und führt uns durch seine kleine Manufaktur, in der wir frische Schokolade verkosten. Anhand seiner vielen Erfahrungen skizziert er ein buntes Bild zwischen romantischem Lebensmittelanbau und großindustrieller Produktion samt Exportgeschäft. Am Ende verabschieden wir uns mit den ersten Kontakten zu unterschiedlichen Exportfirmen. Hoch motiviert, Pfeffer und Zimt nach Leipzig zu bringen, sind wir auch interessant genug für Gespräche mit Exporteuren wie Lanka Organics, JAPC oder EOAS, die uns in ihren klimatisierten Büros wertvolle Einblicke in die Anbauweisen, den Transport und die Weiterverarbeitung der hier heimischen Gewürze geben und viele Fragen beantworten.
Doch Büros sind Büros, und so fahren wir auf staubigen Pisten kilometerweit ins Landesinnere zu den Dörfern mit ihren traditionellen Hausgärten und lernen die Philosophie der Farmerkooperative SOFA aus 1. Hand kennen. In den bunt schillernden Waldgärten bauen die Farmerfamilien in traditioneller Weise Gewürze an und erklären uns ihren permakulturellen Ansatz, Pflanzenschutz und Düngung. Wir streifen mit ihnen durch den privaten Urwald, entdecken hier und da orangefarbene Papaya, kleine Ananas, naschen von den zuckersüßen Zimtblättern und erkennen, dass Pfeffer ganz wunderbar an Kaffeebäumen empor rankt. Mit einer frisch geschlagenen Kakaofrucht in der Hand sprechen wir über die Kontrollen der einzelnen Siegel, von denen einige der Kooperativen-Mitglieder einmal im Jahr angekündigt besucht werden und wie sie mit dem Preisdruck der Exporteure umgehen.
Voller Dankbarkeit über so viel Offenheit rauschen wir mit unserem TukTuk zurück in die Stadt und bereiten uns auf den Besuch der Fabrik vor, in der die Gewürze der Farmerfamilien weiterverarbeitet werden. Wir erfahren, dass die Muskatnüsse per Hand geöffnet werden, um die eigentliche Nuss zu erhalten und sehen, wie Pfeffer gereinigt, getrocknet und sterilisiert wird. Am Ende wissen wir auch, dass wir von diesen Firmen ein Kilogramm ökofairen Pfeffer für 12 bis 15 Dollar nach Deutschland importieren könnten und die Option auf eine freiwillige Prämie haben, die den Farmerkooperativen zu Gute kommt.
Was halte ich fest?
Über das, was auf meinen Teller kommt, bin ich mit anderen Menschen und Lebewesen auf der ganzen Welt verbunden. Egal ob Äpfel aus Leipzig oder Zimt aus Sri Lanka, an den vielen Schritten zwischen Erzeugung und Verzehr sind oft viele Menschen an unterschiedlichsten Stellen beteiligt: Bauernfamilien, Erntehelfer*innen, Arbeiter*innen in Fabriken zur Weiterverarbeitung, LKW-Fahrer, Büroangestellte oder die Schiffscrew, welche die Produkte nach Deutschland bringt.
All meine Erlebnisse auf Sri Lanka stärken meine Einstellung, dass es wertvoll ist, möglichst viele Fragen zur Wertschöpfungskette meiner Lebensmittel zu stellen. Dies werde ich weiterhin tun, indem ich mit den Firmen, die meine Lebensmittel erzeugen, weiterverarbeiten oder importieren kommuniziere! Ich habe jedoch ganz klar bemerkt, dass ich meine Fragen viel klarer beantwortet bekomme, wenn diese Menschen in meiner Stadt leben, ich sie auf dem Wochenmarkt, in ihrer Manufaktur oder bei einem Leipziger Straßenfest am Stand treffen kann.
Ich halte fest, dass es mir höchst wichtig erscheint, zu wissen unter welchen Bedingungen meine Lebensmittel erzeugt, weiterverarbeitet, transportiert und gehandelt werden. Nur mit diesem Wissen kann ich auch verantwortlich handeln. Dafür reicht leider weder ein EU-Bio-Siegel, noch ein Verbands- oder Fair-Trade-Siegel aus.
Ich könnte jetzt noch sehr viel mehr schreiben, z. B. darüber, dass es eine Rolle spielt, ob unsere Lebensmittel aus einer Kooperative stammen, wo die Farmer eigenes Land besitzen oder darüber, dass auch Korruption hier und da im Wimmelbild auftaucht. Aber die „normale“ Länge eines Blogbeitrags habe ich schon mehr als gesprengt. Daher meine Einladung an Dich: Lass uns doch einfach bei nächster Gelegenheit mal miteinander ins Gespräch kommen, wenn Du noch mehr wissen möchtest. Ich freu mich schon! Bis dann …
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